Aus dem Lehrstuhlleben der MNKG

Am Freiburger Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte läuft ein Editionsprojekt: Dort werden in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Kirchengeschichte in Würzburg und dem Diözesanarchiv Rottenburg württembergische Pfründbeschreibungen aus den 1820er Jahren ediert. Wir haben die Projektleiterin Daniela Blum und die beiden studentischen Hilfskräfte Paula Zimny und Felix Uhl gefragt, was sie genau machen und warum das so spannend ist.

Bildrechte: Diözesanarchiv Rottenburg

Was sind überhaupt Pfründbeschreibungen?

Daniela Blum: Im 19. Jahrhundert wurden alle württembergischen Pfarreien mit allem, was dazugehörte, nach einem festen Frageraster erfasst: Die Immobilien wie Kirchen, Kapellen, Pfarr- und Kaplaneihäuser und Friedhöfe; die wirtschaftliche Ausstattung wie Wiesen, Äcker und Wald, Zehntrechte und Abgaben; die Organisation der Schulen und des kirchlichen Lebens; die „besonderen Obliegenheiten“ des Pfarrers (hier wird frömmigkeitsgeschichtlich Interessantes geboten) sowie Verbesserungsvorschläge der Amtsinhaber. Jeder Pfründbeschreibung vorangestellt ist eine oral tradierte oder vom Pfarrer eruierte kurze Geschichte der Pfarrei. Beigegeben sind u. a. topographische Zeichnungen und „Risse“, z. B. Frontalansichten, Pläne von Kirche, Pfarrhaus, Altäre – mitunter seltene visuelle Quellen für häufig nicht mehr existierende oder veränderte Gebäude und Topographien. Die flächendeckende Erfassung der katholischen württembergischen Pfarreien wurde am 8. Juli 1823 vom Katholischen Kirchenrat angeordnet und bis zur definitiven Errichtung der Diözese 1828 durch Pfarrer, Dekane und Kammerer umgesetzt.

Und was machen Sie mit diesen Quellen?

Paula Zimny/Felix Uhl: Wir übertragen die handschriftlichen Quellen in digitale Word-Dokumente und passen dabei Rechtschreibung und Grammatik so an, dass die Texte verständlich und für die weitere Bearbeitung geeignet sind. Dabei achten wir darauf, dass der ursprüngliche Text nicht zu sehr entfremdet wird. Diese Balance zu finden, ist oft eine Herausforderung und führt gelegentlich zu Diskussionen. Für die Edition der Texte steht uns eine KI zur Verfügung, die uns in manchen Fällen eine erhebliche Arbeitsersparnis ermöglicht. Hilfreich ist es auch, wenn wir uns im Voraus über die Orte informieren, um ein besseres Verständnis für die Pfarreien zu bekommen.

Warum lohnt es sich, die Pfründbeschreibungen zu edieren?

Daniela Blum: Weil wir einen Blick in historische Alltagswelten erhalten, in jede einzelne Pfarrei Württembergs. Wie sah eine Kirche aus, wie viele Kinder gingen zur Schule, was nervte den Pfarrer, gab es eine Orgel, war es in der Kirche feucht? Die Kirchengeschichte denkt oft „von oben“ her, blickt auf die kirchliche Institution und ihre Hierarchie oder die intellektuelle Theologie. Die Pfründbeschreibungen aber zeigen Geschichte „von unten“. Sie erzählen, wie gelebter Glaube in einem institutionalisierten, seit Jahrhunderten christianisierten Rahmen funktionierte. Auch die Sprache ist in jeder Pfründbeschreibung etwas anders, oft dialektal gefärbt. Sie zeigt uns etwas von der lokalen Sprachentwicklung vor der Normierung der Schriftsprache. Und schließlich finde ich es frappierend, wie diese Welt der 1820er Jahre auf dem Land noch völlig ausgeliefert ist an das Wetter und die jährliche Ernte. Wir erhalten Einblicke in eine Welt, die sich in den folgenden Jahrzehnten durch die Industrialisierung komplett verändert hat.

Was macht daran besonders Spaß?

Paula Zimny: Beim Editieren bereitet es mir besonders viel Freude, den Abschnitt zur Geschichte des Ortes zu bearbeiten. Dieser Teil ist stets sehr interessant und je nach Verfasser oft auch amüsant zu lesen. Darüber hinaus tausche ich mich gerne mit den anderen Projektbeteiligten über die verschiedenen Herausforderungen aus und denke über mögliche Lösungswege nach.

Felix Uhl: Am meisten Spaß bereitet mir beim Edieren das Eintauchen in eine längst vergangene Lebenswelt. Die Berichte sind authentische Zeugnisse einer Zeit vor 200 Jahren – verfasst von Augenzeugen, die ihre Eindrücke festhielten. Zwar unterlagen die Texte strengen formalen Vorgaben und waren ihrem Ziel nach oft sachlicher und technischer Natur, doch an manchen Stellen blitzen die Gedanken und Gefühle der Menschen jener Epoche hindurch – ihre Ängste, Sorgen und Herausforderungen.

Und was erleben Sie als Herausforderung?

Paula Zimny/Felix Uhl: Eine besondere Herausforderung stellt für uns die Tatsache dar, dass die in den Quellen verwendeten Maßangaben nicht mit den heutigen übereinstimmen: Jede Stadt hatte bis ins 19. Jahrhundert hinein eigene Maßeinheiten. Es fällt manchmal schwer, sich die alten Maße vorzustellen. Zusätzlich gestaltet sich die Arbeit schwieriger, wenn die Verfasser der Pfründbeschreibungen wenig Sorgfalt auf die Gestaltung der Texte und ihre Handschrift gelegt haben. Dies äußert sich etwa in einem schwer leserlichen Schriftbild, Flecken, durchgedrückter Tinte oder schiefen Linien und Zeilen – Probleme, die auch unsere KI nicht immer  problemlos bewältigen kann. Zum Glück trifft dies nicht auf alle Quellen zu, und es bereitet umso mehr Freude, mit gut lesbaren Handschriften zu arbeiten.

Haben Sie noch ein Highlight aus den bisher edierten Quellen?

Paula Zimny: Manchmal gibt es Schreiber, die sehr ausführlich waren und interessante Details in die Pfründbeschreibung aufgenommen haben. So wurden bei der Ortsgeschichte der Gemeinde Laupertshausen „merkwürdige Begebenheiten“ aufgeführt. Dazu gehörten der Hagelschlag, der „nach dem Zeugnis alter, glaubwürdiger, noch lebender Pfarrgenossen“ sieben Jahre hintereinander die Ernte vernichtet hat und einen großen Wolkenbruch, der niedrige Teile des Dorfes „vier bis fünf Schuh tief unter Wasser setzte und den festen Gartenzaun teils niederriss, teils bis in das eine Stund weit entfernte Dorf, Äpfingen, mit fortschwemmte“. Mir macht es immer wieder Spaß, interessante Details der Orte von den Schreibern zu erfahren.

Felix Uhl: An meinem Highlight der bisher edierten Quellen arbeite ich gerade: die Pfründbeschreibung der Pfarrei Ochsenhausen. Im Kapitel „Geschichte“ gibt der Verfasser der Quelle die Gründungslegende des Klosters Ochsenhausen wieder. Der Erzählung nach bestand um das Jahr 900 an der Stelle des späteren Klosters bereits ein adliges Frauenkloster. Als die Hunnen einfielen, mussten die Nonnen nach Salzburg fliehen – nicht jedoch, ohne zuvor ihren wertvollen Klosterschatz in Sicherheit zu bringen. Dieser enthielt unter anderem eine Reliquie vom Kreuz Christi. Um ihn vor den Plünderern zu schützen, verpackten die Schwestern die Schätze in eine Kiste und vergruben sie im Erdreich. Die Nonnen kehrten nach der Zerstörung ihres Klosters nicht zurück. Stattdessen teilten sich einige Ritter das verlassene Gebiet, ohne jedoch selbst ein neues Kloster zu errichten. Erst 143 Jahre später stieß ein Bauer beim Pflügen seines Ackers auf die verborgene Kiste. Man deutete den Fund als göttliches Zeichen und beschloss, an jener Stelle eine Kirche und ein Kloster zu errichten.

Mehr zum Pfründbriefprojekt auf der Website der MNKG: https://uni-freiburg.de/theol-mnkg/forschungsprojekt-pfruendbeschreibungen/

Daniela Blum

Daniela Blum ist seit dem Wintersemester 2024/25 Professorin für MNKG. Davor war sie Professorin für Kirchengeschichte an der RWTH Aachen und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Diözesanmuseum Rottenburg. Promoviert wurde sie in Tübingen mit einer Arbeit zu Mehrkonfessionalität in der Frühen Neuzeit. Zur Zeit interessiert sie sich für mittelalterliche Hagiographien und Körperkonzepte sowie für eine Kirchengeschichte bottum up des 19. Jahrhunderts.

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