Weltkirche mit Weitwinkel und Teleobjektiv

Wie organisiert sich eigentlich die weltweit agierende Kirche? Welche Gesichter und Formen nimmt sie an? Und welche Rolle spielt die römische Zentrale? Diesen Fragen gingen Studierende im Seminar „Welt. Weite. Kirche. Was die Weltkirche im Innersten zusammenhält im Wintersemester 2022/23 nach.

Die katholische Kirche ist facettenreich – das bedingt nicht nur ihr Alter, sondern auch ihre breite Ausdehnung auf den verschiedenen Kontinenten und in den mannigfaltigen Sprachen der Welt. Gleichzeitig versteht sie sich als Institution, deren römischer Herzschlag das Streben nach Einheitlichkeit proklamiert, so zumindest der Eindruck aus westeuropäischer Perspektive. Wie gehen Pluralität und Einheitsstreben zusammen – nicht auf dem Papier, sondern in den konkreten Gegenwartsbezügen? Welche zentralen Organisations- und Leitungsmechanismen lassen sich entdecken? Worin, wenn es ihn denn gibt, kommt denn der einheitliche katholische Markenkern an den unterschiedlichen Orten zum Ausdruck? Und wie kommt er zustande?

Fokus I: Die römische Kurie

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, nahmen wir im Seminar in drei Blocksitzungen gemeinsam mit externen Expert*innen verschiedene Perspektiven ein. In einem ersten Block stand die römische Kurie als vielzitierte „Schaltzentrale“ für die weltweit agierende Katholische Kirche im Fokus. Wir beschäftigten uns mit der durch die Kurienreform entstandenen veränderten Struktur sowie Besetzung der Kurie und dem Selbst- und Aufgabenverständnis einzelner Dikasterien (Dikasterium für Evangelisierung und Dikasterium zur Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen). Wir stellten fest, dass durchaus der Anspruch besteht, von Rom aus richtungsweisender Impulsgeber, Begleiter, Vernetzer, Förderer und Unterstützer in Sachen weltweiten Kircheseins zu sein. Wie diese z. T. bemerkenswert ambitioniert und holistisch anmutenden Rollenideen letztlich eine Umsetzung finden, wollten wir im weiteren Seminarverlauf weiter nachgehen.

Fokus II: Kirchesein in Afrika, Asien und Südamerika

Gelegenheit dazu hatten wir gleich im zweiten Block, in dem wir Menschen aus Südamerika, Afrika und Asien zu Gast hatten. Mit ihnen kamen wir darüber ins Gespräch, was Kirchesein in ihren jeweiligen Ortskirchen ausmacht, welche leitenden Kräfte sich identifizieren lassen und welche Rolle der römischen Zentrale in dieser Frage zukommt. So unterschiedlich die Erzählungen der Gäste auch waren, ein paar große Linien zeichneten sich dennoch ab. Erstens zeigte die südamerikanische Perspektive auf:

Je dringender die Bedürfnisse im spezifischen Kontext der Ortskirche, desto weniger wird auf das römische Votum zu verschiedenen Fragen des Kircheseins gewartet bzw. kann darauf gewartet werden.

Humorvoll, aber nicht weniger treffend spielte in diesem Zusammenhang auch die afrikanische Perspektive ein:„Das mag Sie vielleicht überraschen, aber in Afrika interessieren wir uns gar nicht so sehr für das europäische Kirchesein“ (…und damit auch nicht so sehr für die römischen Zwischenrufe). Zweitens wurde in allen drei Gesprächen deutlich:

Übersetzen ist eine der Kernkompetenzen im weltkirchlichen Kontext. Es geht dabei um Übersetzen in zwei Richtungen – von „Römisch Katholisch“ in die Sprachen und kulturellen Schätze eines jeweiligen Kontextes und umgekehrt.

Im Zentrum steht ein partizipatives und sensibles Übersetzen, nicht ein mechanisches und starres Kopieren. „Synkretismus“, so der afrikanische Gast, „ist dabei also eigentlich das Normale.“ Ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Satz.

Fokus III: Fremdlernen 

Die dritte Blocksitzung stand unter dem Motto „Fremdlernen“ – und damit unter der Frage, wie andere weltweit agierende Player die Identität ihrer Marke in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sichern. Expert*innen aus Ökonomie und NGO`s waren zum Austausch eingeladen. Dietmar Kress, ein langjähriger Greenpeacemitarbeiter, brachte seine Antwort auf die Frage indirekt, aber nicht minder überzeugend zum Ausdruck. Er stellte die Organisation Greenpeace vor, indem er zunächst ihr Wozu erläuterte. Denn wenn klar sei, wofür eine Organisation da ist, dann sei auch ihre Marke gesichert. Auch Monika Schuhmacher, Professorin für Marketing und Innovationsforschung an der Universität Gießen, betonte, wie wichtig es für multinationale Organisationen sei, eine eigene Mark auszubilden. Diese müsse mindestens zwei Bedingungen standhalten. Sie müsse abstrakt genug sein, dass sie sich mit Blick auf Kundenbedürfnisse in verschiedenen kulturellen Kontexten in unterschiedliche konkrete Produkte übersetzen lässt. Und sie müsse konkret genug sein, dass Organisationsangehörige in den unterschiedlichen Teilen der Welt in der Lage dazu sind, sie in einem Satz bzw. einem Wort wiederzugeben. Klingt gut, ist allerdings mit Blick auf Kirche gar nicht mal so leicht auszubuchstabieren.

Wie könnte der Satz lauten, der zugleich abstrakt und konkret das Wozu der Kirche so ins Wort bringt, dass damit kirchliche Identität gesichert und kontextspezifische Pluralität ermöglicht wird?

Wir bleiben jedenfalls dran an diesen Fragen und nehmen sie mit in unsere letzte Seminaretappe, bei der wir in Rom selbst verschiedene Akteur*innen der römischen Zentrale sowie unterschiedlicher Orden und Universitäten treffen werden. Damit das, was wir neben Stracciatella und Tartufo in Rom mit Blick auf unsere Fragestellungen im Seminar entdecken werden, nicht unerwähnt bleibt, werden wir während unserer Exkursion den zwoelf57-Instakanal fleißig bespielen. In diesem Sinne: Ci vediamo la prossima settimana, arrivederci!

 

Antonia Lelle

Antonia Lelle studierte von 2014 bis 2019 Katholische Theologie und Philosophie in Freiburg und Rom. Seit 2019 arbeitet sie am Arbeitsbereich Pastoraltheologie in Freiburg.

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