Mein Thema und ich – Jonathan Burger: Rechtspopulismus als Herausforderung christlicher Sozialethik
Rechtspopulistische Parteien haben europaweit immer mehr Anhänger*innen. Wie kann gesellschaftlich wie kirchlich auf den Rechtspopulismus als wohl bleibender Herausforderung reagiert werden? Jonatan Burger hat in seiner Dissertation, die im August im Herder Verlag erscheint, erste Handlungsoptionen entworfen.
- Wie hat das Thema dich gefunden?
Als die AfD 2013 entstand, direkt erste Wahlerfolge feiern konnte und sich dann sukzessive von einer zunächst wirtschaftsliberalen, eurokritischen zu einer rechtspopulistischen Partei wandelte, stand die Frage im Raum, wie Christen eine Wahlentscheidung für diese Partei, die ja früh auf Abschottung setzte und sich gegen Minderheiten wandte, mit ihrem eigenen Glauben vereinbaren konnten. Für meine Magisterarbeit 2017 hatte ich deshalb in einer Interviewstudie mit katholischen AfD-Sympathisanten gesprochen. Dabei wurde rasch deutlich: den „einen“ Grund gibt es nicht, sondern es ist – wie eigentlich immer – komplexer als gedacht.
- Was findest du daran so faszinierend?
Mit dem Rechtspopulismus stand 2017 ein Elefant im Raum – und saß im Deutschen Bundestag, von dem man lange gedacht hatte, dass er in Deutschland, anders als vielen europäischen Nachbarländern, nicht reüssiere könne. Als dies dann doch der Fall war, wurde ein bunter Strauß an Ursachen für diesen Wahlerfolg benannt. Je nachdem, von welcher Perspektive und vielleicht auch politischen Warte man insgesamt auf die Gesellschaft blickt, interpretiert man auch den Rechtspopulismus anders – und kommt zu anderen Schlüssen, wie man diesem am besten begegnen sollte. Hier Schneisen in den Wald der Deutungsansätze zu schlagen, fand ich sowohl herausfordernd als auch enorm spannend.
- In welchem Fach konntest du mit dem Thema andocken?
Im Konzert der theologischen Teildisziplinen setzt sich die Christliche Sozialethik ja nicht nur mit der kirchlichen Sozialverkündigung auseinander, also der Perspektive der Päpste auf gesellschaftliche Umbrüche und Herausforderungen, wie sie vor allem in den programmatischen Sozialenzykliken, zuletzt in Fratelli tutti, ihren prominentesten Ausdruck findet, sondern blickt auch auf die Gesellschaft insgesamt und fragt nach dem, was für ein demokratisches Miteinander zuträglich ist bzw. dieses bedroht. Als Christ*innen sind wir selbstverständlicher Teil der demokratischen Gesellschaft und dürfen diese mitgestalten – und haben ihr, aus unserer Glaubenstradition heraus, zugleich Entscheidendes zu sagen. Dies mit einem hohen Maß an wissenschaftlicher Reflexion zu tun, ist Auftrag der Christlichen Sozialethik – so dass mein Dissertationsprojekt dort ideal verortet war.
- Welche wertvollen Entdeckungen hast du beim Schreiben gemacht?
Dass der Erfolg des Rechtspopulismus wohl ein wirklich zu komplexes Phänomen ist, als dass er zwischen zwei Buchdeckeln auch nur annähernd abschließend diskutiert und ergründet werden könnte. Hier den Mut zu haben, zum Mosaik der Interpretationen doch nur einige Glassteinchen beizutragen, aber dabei eben zu begründen, warum genau diese aus meiner Sicht eben die schillerndsten sind, war wohl die größte Herausforderung und zugleich einer der wichtigsten Lerneffekte beim Schreiben – gerade über das Fachliche hinaus. Denn dies ist ja auch eine hilfreiche Einsicht für Beruf, ehrenamtliches Engagement und überhaupt: Alle Fäden, die möglich und spannend sind, kann man gar nicht weiterspinnen – die Kunst ist, die Wichtigsten herauszugreifen.
- Was hat Dir geholfen, durchzuhalten und mit der Arbeit fertigzuwerden?
Wichtig für das Schreiben war es tatsächlich, sich zwei Vormittage in der Woche, in denen ich einfach von der Tageszeit am besten an Texten arbeiten kann, freizuschaufeln. Das ließ sich glücklicherweise mit der Arbeit in der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen gut vereinbaren. Hilfreich war auch die recht detaillierte Gliederung direkt zu Beginn, so dass ich immer wieder kleine Zwischenziele erreichen konnte. Und immer wieder den wohl altbekannten Tipp „Wer schreibt, der bleibt“ gesagt zu bekommen – es ist wichtig, einfach mal anzufangen. Besser werden kann das Manuskript ja immer noch. Aber irgendwann muss man mit dem Eintauchen in die ja stetig wachsende Forschungsliteratur aufhören und einfach mal loslegen – und das Fragment wagen.
- Was wird die Leserinnen und Leser vermutlich überraschen?
Den „einen“ Aha-Effekt gibt es wohl nicht. Mir selbst ging es bei der abschließenden Arbeit am Manuskript, während dessen Entstehung sich die AfD ja vom Rechtspopulismus noch weiter in Richtung Rechtsextremismus radikalisiert hatte, mehrfach so, dass ich mich fragte: „Okay, hättest du diese Passage mit so viel Verständnis für deren Anhänger*innen geschrieben, wenn bspw. die Anfang 2024 bekannt gewordene Deportationsphantasien schon öffentlich gewesen wären?“ Wo kippt die schmale Grenze zwischen dem Verstehen, auf das es mir ankommt, und Verständnis, das ich immer weniger aufbringen kann? Darüber ins Gespräch zu kommen, das fände ich spannend – und lasse mich dabei gerne überraschen.
- Mit wem würdest Du Dich gerne mal über Deine Arbeit austauschen – und warum?
Am Ende der Arbeit entwerfe ich ja Handlungsoptionen, wie die katholische Kirche auf die Hintergründe rechtspopulistischer Wahlerfolge reagieren könnte: Wie können wir einer Hoffnungsarmut in der Gesellschaft begegnen und wieder um Zukunftsvisionen streiten? Wie gelingt es uns, über scheinbar wachsende Gegensätze und Polarisierungen hinweg im Gespräch zu bleiben? Welche Formen und Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement und Partizipation können wir schaffen, um zu zeigen, dass gesellschaftlicher Wandel nicht erlitten werden muss, sondern gestaltet werden kann? Vor allem diesem Fragen stehen wir als katholische Christinnen und Christen ja nicht alleine – hier also mit anderen zivilgesellschaftlichen Playern in einen Austausch zu treten, die vielleicht auch mit Kirche und Glaube gar nicht unbedingt (mehr) etwas anfangen können, das ist jetzt dran. Vielleicht sollten wir uns hierfür manchmal auch etwas weniger mit uns selbst beschäftigen.
- Wo könnten Deine Erkenntnisse weiterhelfen – und was würde sich damit ändern?
Wenn wir den Wahlerfolgen des Rechtspopulismus etwas entgegenhalten wollen und Menschen wieder für die Wahl demokratischer Parteien gewinnen möchten, reicht es in meinen Augen nicht, zu betonen, wie gefährlich der Rechtspopulismus für unser demokratisches Miteinander ist. Das scheint dessen Wähler*innen inzwischen wohl entweder egal bzw. weniger wichtig als dessen inhaltlichen Positionen in sachpolitischen Fragen wie etwa der Migrationspolitik zu sein, oder sie halten es zu schnell für ein Foulspiel der politischen Konkurrenz – gerade in den ostdeutschen Bundesländern. Wir brauchen also beides: ein Nachvollziehbar-Machen der Mechanismen unserer komplexen föderalen und repräsentativen, aber dadurch manchmal etwas trägen, Demokratie und Werben für diese Multiperspektivität auf Herausforderungen, die dadurch erreicht wird. Und die ehrliche Frage, aufgrund welcher Defizite in unserem politischen Gefüge, bei der gesellschaftlichen Bewältigung von Transformationsprozessen im Bereich von Ökonomie und Alltagswelt gleichermaßen der Rechtspopulismus für Menschen als die Alternative erscheint. Die Arbeit bietet dafür sicher kein Patentrezept und erst recht keine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Aber vielleicht hilft sie ja, den Blick zu schärfen oder motiviert zum Weiterfragen – oder Widerspruch, der ja auch produktiv sein kann.
- Die Arbeit in sieben Hauptsätzen.
Rechtspopulistische Parteien befinden sich europaweit auf dem Vormarsch. Will man dem Rechtspopulismus seitens von Theologie und Kirchen begegnen, genügt es nicht, diesen als Bedrohung der liberalen Demokratie zu kritisieren. Vielmehr muss auch nach den Gründen für seinen gegenwärtigen Erfolg gefragt werden. Denn rechtspopulistische Wahlerfolge – so die These – sind immer auch als Symptom für tieferliegende gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen. Die Ansätze von Chantal Mouffe, Ronald Inglehart und Pippa Norris sowie Philip Manow sind dafür Ausgangspunkt und werden aus der Perspektive einer Christlichen Sozialethik einer kritischen Würdigung unterzogen. So lassen sich erste Schritte erkennen, wie auf den Rechtspopulismus als wohl bleibender Herausforderung gesellschaftlich wie kirchlich reagiert werden kann.
Die Arbeit „Rechtspopulismus als Herausforderung christlicher Sozialethik“, mit der Jonatan Burger im Fach Christliche Sozialethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Dr. theol. promoviert wurde, erscheint im August im Herder Verlag.
Jonathan Burger
Jonatan Burger, geb. 1994, studierte Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und wurde dort im Fach Christliche Sozialethik mit der Arbeit "Rechtspopulismus als Herausforderung christlicher Sozialethik" zum Dr. theol. promoviert. Seit 2018 ist er als Referent der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und seit 2023 zudem als Dekanatsreferent in der Diözese Rottenburg-Stuttgart tätig. Seit 2017 gehört er der Redaktion des theologischen Blogs y-nachten.de an.
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