Vom Yogastudio zum Theologiestudium
Ein Student der Theologischen Fakultät Freiburg erzählt von seinem ganz persönlichen Glaubens- und Lebensweg.
81.500 Menschen sind im Jahr 2022 in Baden-Württemberg aus der katholischen Kirche ausgetreten, wie die DBK am 28.06.2023 bekannt gab.[1] Wenig vorher beginnt meine Geschichte mit dem Eintritt in die Katholische Kirche und ich bin – wie es scheint – einem Trend entgegengetreten. In diesem Beitrag möchte ich darüber erzählen, wie es zu dieser Wendung kam und welche Beweggründe mich dazu veranlasst haben.
Kirche als Ort der Fremdheit
Als Kind wuchs ich in einer ländlichen und katholischen Region auf. Zwar wurde ich evangelisch getauft, aber in unserer Familie – Vater katholisch, Mutter evangelisch – spielte der Glaube keine große Rolle. Auch meine katholischen Großeltern, die bei uns im Haus lebten, äußerten sich nicht zu ihrem Glauben. Kirche war für uns nur zu den Festtagen relevant. Kirche war zunächst vor allem eines für mich: Ein Ort der Weltfremdheit und Schauplatz von Vorurteilen. Diese Vorstellung und die Kirchensteuer führten schließlich zu meinem Austritt.
Wunsch nach Veränderung
Es gab eine Phase in meinem Leben, in der es mir materiell gesehen sehr gut ging. Ich leitete eine Zeitarbeitsfirma, hatte ein anständiges Gehalt, gute Freund:innen und genügend Freizeit, die ich mit Reisen und Sport füllte. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass, obwohl es mir äußerlich gut ging, ich nicht glücklich war. Die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, hatte ich lange Zeit erfolgreich verdrängt, doch im Grunde begleitete mich mein ganzes Leben hindurch ein tiefes Sehnen, ein unstillbares Bedürfnis nach mehr als einem bloßen Dahinleben. Als ich mir allmählich eingestand, dass ich diesen Weg nicht weitergehen konnte, erwuchs in mir der Wunsch nach Veränderung.
Die erste Veränderung, die ich in meinem Leben vornahm, war der Entschluss, Kung Fu zu erlernen. In der Firma, in der ich damals arbeite, war ich für Neueinstellungen zuständig und führte regelmäßig Einstellungsgespräche durch. Eines Tages stand ein Bewerber vor der Tür und sagte er habe ein Bewerbungsgespräch. Der Mensch, der vor mir stand, hatte weder einen Termin noch war er unserer Firma als Bewerber bekannt. Üblicherweise hätte ich jemanden in einer solchen Situation wieder fortgeschickt. Doch einer spontanen Eingebung folgend, lud ich ihn dennoch in mein Büro ein. Wie sich herausstellte war diese Entscheidung schicksalsweisend.
In den folgenden Jahren stieß ich oftmals auf den Satz: „Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister“. In der Retrospektive könnte diese Aussage nicht treffender sein. Der Bewerber, der mir gegenübersaß, war ein Kung Fu Meister und wohnte zudem nur zwei Minuten zu Fuß von der Firma entfernt, in der ich arbeitete. Nach kurzer Zeit begann ich regelmäßig bei ihm zu üben. Vor und nach dem Training gab es eine Tasse Tee, bei der wir uns unterhielten. In den Gesprächen, die wir führten, stellte sich heraus, dass dieser Mann sehr spirituell war, was mir vollkommen fremd war.
Ehrlicherweise empfand ich den Mann als etwas seltsam, zugleich übte er eine Faszination auf mich aus. Dieser Mann schien auf eine Art und Weise unbeschwert zu leben und machte sich überhaupt keine Sorgen, auch wenn er nicht viel zum Leben hatte, und wie es mir erschien, auch nicht brauchte. Darüber hinaus schien er in mir wie in einem offenen Buch lesen zu können und hatte stets einen weisen Ratschlag für meine vermeintlichen „Probleme“ parat. Die Erzählungen, die er mit mir teilte, erschienen mir oft geradezu abstrus, und dennoch übten sie eine faszinierende Anziehungskraft auf mich aus.
Yoga-Praxis
Kurz nachdem ich mit Kung Fu begonnen hatte, hatte ich auch mit Yoga begonnen. Immer wenn ich Yoga übte, fühlte ich mich richtig gut, entspannt und glücklich. Zustände, die ich bisher in meinem Leben vermisst hatte und die mir mit der Zeit immer erstrebenswerter erschienen. Meine Yoga-Lehrerausbildung veränderte viel in meinem Leben. Ich las viel und traf viele neue Menschen. Dieser Abschnitt meines Lebens ging knapp zehn Jahre so weiter. Wie kam ich nun vom Yoga zum Studium der Theologie?
Hier kam einiges zusammen und ich muss zugeben, dass ich nicht immer bereit war, mich selbst weiterzuentwickeln, weswegen mir das Leben auch das ein oder andere Mal einen Anstoß gab. Die Coronapandemie machte es zeitweise unmöglich Geld zu verdienen, was mich und meine Frau, die auf dem Land keinen Job als Akademikerin fand, in eine Existenzkrise stürzte. Bald stand die Frage im Raum, das Yoga-Studio aufzugeben, um mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen und unsere Existenz zu sichern. Mitten in diesem Entscheidungsprozess starb mein Vater. Es gibt kaum ein Ereignis in meinem Leben, das mich so erschütterte. Da mein Vater katholisch gewesen war, trat ich das erste Mal seit Jahrzehnten wieder mit der Kirche in Kontakt. Für die Trauerfeier traf ich mich mit dem Pfarrer unserer Gemeinde, um mit ihm über die Beerdigung zu sprechen. Bei diesem Gespräch war ich von dem Menschen, der mir gegenübersaß, positiv überrascht. Ich konnte ihm von Yoga berichten, während er mir von Gott erzählte, und dennoch schien stets ein tiefes Verständnis für die Worte des anderen zu bestehen. Dies fiel mir schon früher auf meinem yogischen Lebensweg auf. Fast alle spirituellen Lehrer des Yoga oder Buddhismus, denen ich begegnete oder deren Bücher ich las, verwiesen häufig auf den christlichen Gott und Jesus oder zitierten aus der Bibel. Diese Begegnungen brachten mir auch den christlichen Glauben, wie ihn Jesus vorlebte, näher.
Spiritualität war mir schon immer ein großes Anliegen, wenn es um Yoga ging.
Leider erlebte ich selten, dass auch Kurteilnehmer:innen nach Spiritualität suchten, weshalb ich immer wieder mit dem Beruf des Yoga-Lehrers gehadert hatte. Da ich den Menschen gerne eine tiefere spirituelle Seite vermitteln wollte, war es bemerkenswert, dass hier nun – in der Kirche – Menschen waren, die allein wegen ihres Glaubens und ihrer Spiritualität gekommen waren.
Angesichts der Vielzahl der genannten Umstände ergab sich ein starkes Argument dafür, mein Leben zu verändern, und genau das tat ich. Ich entschied mich dazu, mein Yoga-Studio aufzugeben und übernahm stattdessen eine aktivere Rolle in der Betreuung unseres Sohnes. Meine Frau konnte sich nun an einer Universität bewerben, fand auch rasch einen Arbeitsplatz und wir beschlossen nach Freiburg zu ziehen.
Der Schritt an die theologische Fakultät
Um meinen spirituellen Weg fortzusetzen, entschied ich mich dafür, dies innerhalb der Kultur zu tun, in der ich aufgewachsen und verwurzelt bin. Daher trat ich wieder in die Kirche ein und besuchte regelmäßig den Gottesdienst.
Das Studium der Theologie erlaubt es mir, die Glaubensinhalte viel besser nachzuvollziehen. Immer wieder finde ich darin Vertrautes, von dem ich bereits in anderer Form gehört habe.
Für mich stellt das Studium der Theologie und der christliche Glaube kein Bruch mit meinem bisherigen yogischen Weg dar, sondern vielmehr eine Fortführung, bei der ich eine neue Sprache des Glaubens erlerne und meinen spirituellen Weg vertiefen kann und darf.
[1] Vgl. SWR Sendung vom 28.06.2023, 12:00 Uhr, https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/kirchenaustritte-auf-rekordhoch-100.html.
Student:in an der theologischen Fakultät
Unter diesem Autor:innennamen werden anonym Beiträge von Studierenden der theologischen Fakultät veröffentlicht.
Weitere passende Beiträge
Diskutieren Sie mit uns!