Roma locuta, causa finita – oder: Wie viel Wissenschaft verträgt die Kirche?

David Bayer hat sich im Rahmen seines Studiums mit rechtspopulistischen Erzählmustern in kirchlichen Lehrtexten beschäftigt. In unserem heutigen Beitrag fragt er, wie viel Wissenschaft sich das kirchliche Lehramt überhaupt zumuten will – und ob sich darin Parallelen zu rechtspopulistischer Rhetorik erkennen lassen.

 Dass die Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft gerade von Rechtspopulist:innen geringgeschätzt wird, zeigt sich deutlich: Entgegen aller etablierten wissenschaftlichen Erkenntnisse scheint es in (vielen) rechtspopulistischen Kreisen weder den Klimawandel noch das Coronavirus zu geben. Der ‚gesunde Menschenverstand‘ überrage die Wissenschaft bei weitem. So weit, so falsch. Doch nicht nur im säkularen Feld werden Wissenschaftler:innen angezweifelt. Auch in der Kirche wird nicht erst seit neustem immer wieder Kritik an der Kompetenz von akademischen Theolog:innen geäußert. Laut Papst Franziskus sei es ein „Problem […] wenn der synodale Weg von intellektuellen, theologischen Eliten ausgeht“1. Gleichzeitig zeigen diverse lehramtliche Dokumente ebenfalls eine Unterordnung der Wissenschaft unter das Urteil des Lehramts. Lässt sich also auch seitens des kirchlichen Lehramts eine rechtspopulistische Ablehnung von Intellektuellen erkennen? Lassen sich hier Parallelen zu rechtspopulistischer Rhetorik ziehen? Oder anders gefragt: Wie viel Wissenschaft verträgt die Kirche?

Rechtspopulismus ist ein komplexes Phänomen, sodass es schwer fällt von dem einen Rechtspopulismus zu sprechen. Charakteristisch für alle Formen des Rechtspopulismus ist, dass er nicht eigenständig, sondern immer in Verbindung mit anderen Ideologien auftaucht und auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen reagiert. Man spricht deshalb auch von einer „dünne[n] Ideologie“2. Darüber hinaus fixiert der Rechtspopulismus ein homogen gedachtes, einheitliches Volk. Dieses ‚wahre‘ Volk besitze einen moralisch reinen und ‚wahren‘ Volkswillen, den nur die Populist:innen repräsentieren können. Implizit wird damit Kritik an Intellektuellen geäußert, da diese nicht in der ‚Wahrheit‘ stehen und den Volkswillen somit korrumpieren. Die Ablehnung von Wissenschaftler:innen ist ein typisches Narrativ des Rechtspopulismus. Populist:innen zielen nicht darauf ab, einen Diskurs über die Wahrheit zu führen, sondern darauf, ihre Meinung dem Volk unterzuschieben.3

Im Folgenden werden verschiedene Beispiele des lehramtlichen Umgangs mit Wissenschaft erörtert. Anti-intellektuelle Tendenzen des kirchlichen Lehramts finden sich bereits im 19. Jahrhundert. Ein um sich greifender Antimodernismus war der Startpunkt für eine kritische Distanz gegenüber der akademischen Theologie.5 Im 20 Jhd. konkretisierten einige Dokumente des II. Vatikanums die Einstellung des Lehramts gegenüber der Wissenschaft. Bezogen auf Fragen der Offenbarung macht das Konzilsdokument Dei verbum klar, dass nur das Lehramt die Offenbarung „verbindlich“ auslegen dürfe (10,2). Theolog:innen dürften zwar unterstützend mitwirken, das finale Urteil bleibe allerdings dem Lehramt vorbehalten (vgl. 12,2). Der Konzilstext Lumen gentium betont, dass das Lehramt als höchste Autorität zu gelten habe (vgl. 25,3). Auch nach dem II. Vatikanum wurden Intellektuelle vom Lehramt in die Schranken gewiesen. Die Instruktion Donum veritatis spricht davon, dass es mit der „Funktion des Theologen unvereinbar ist“, dem Lehramt ein „Lehramt des Gewissens“ entgegenzustellen (38,2). Der „‚Konsens‘ der Theologen“ dürfe nicht zum „Hauptmaßstab“ werden, da dies zu einem „schwerwiegenden Verlust des Sinns für die Wahrheit“ führe (39). Das Dokument Ex corde ecclesiae betont, dass „Theologen (…) der Kirche“ dienen und die „Autorität der Bischöfe respektieren (…) müssen“ (29,3). Die Wissenschaft scheint also für das Lehramt ‚nur‘ Mittel zum Zweck zu sein. Ein freier akademischer Diskurs ist nicht beabsichtigt; die Meinung akademischer Theolog:innen wird dem Urteil des Lehramts untergeordnet.

Inwieweit lassen sich diese Beispiele nun als rechtspopulistische Tendenzen charakterisieren? Die Dokumente und Texte des Lehramts akzeptieren deshalb keinen akademischen Diskurs, weil dadurch die eigene, als authentisch gekennzeichnete Wahrheit relativiert würde. Dieses Phänomen ist ein typisch rechtspopulistisches Motiv. Die eigene, göttlich legitimierte Autorität dient dazu, sich nicht einem Diskurs aussetzen zu wollen, der dazu führen könnte, die eigene Position korrigieren zu müssen. Wer die rationale Wissenschaft unter seine Kontrolle zu bringen versucht, handelt rechtspopulistisch, da sich dadurch einem „reflexiven Umgang mit der Moderne“7 verweigert wird.  Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es in diesem Beitrag nicht darum geht das Lehramt als rechtspopulistisch zu kennzeichnen, sondern darum, rechtspopulistische Narrative im Umgang mit der Wissenschaft und die dadurch konstruierte antimodernistisch geprägte Distanz gegenüber dem akademischen Diskurs sichtbar zu machen.

Wie viel Wissenschaft verträgt die Kirche? Um rechtspopulistische Narrative vorzubeugen, müsste man antworten: Die Kirche muss der Wissenschaft radikal ausgesetzt werden. Ein kirchliches Lehramt, welches auch in der Moderne noch eine Rolle spielen möchte, muss sich auf einen kritischen wissenschaftlichen Diskurs auf Augenhöhe einlassen. Es muss sich darauf einlassen, dass die Meinung von akademischen Theolog:innen nicht automatisch untergeordnet ist, nur weil diese nicht – um es mit Dei verbum zu sagen – das „Charisma der Wahrheit“ empfangen haben (8,2). Solange das Lehramt keine vernünftigen, d.h. philosophisch fundierten, Geltungsgründe vorlegt, warum akademische Antwortversuche auf theologische Fragen denen des Lehramts untergeordnet sind – der Rekurs auf eine ‚gottgewollte Autorität‘ oder eine apostolische ‚Sukzession‘ zählen nicht! – muss die Wissenschaft die lehramtliche Autorität vehement ablehnen und immer wieder rationale Argumente einfordern, um rechtspopulistischen Denkstrukturen keinen Nährboden zu bieten. Erst wenn mit vernünftigen Gründen und ohne lehramtliche Autorität gegenüber der Wissenschaft theologisch debattiert wird, setzt man ein klares Zeichen gegen all diejenigen, die sich einer rechtspopulistischen Ablehnung von Wissenschaftler:innen bedienen. Solange dies aber nicht der Fall ist, wird es leider weiterhin heißen: Roma locuta, causa finita – schade!

 

1 Spadaro, Antonio, Papa Francesco in conversazione con i direttori delle riviste culturali europee dei gesuiti (La Civiltà Cattolica, Nr. 4128, 2022). Online abgerufen unter: https://www.laciviltacattolica.it/articolo/papa-francesco-in-conversazione-con-i-direttori-delle-riviste-culturali-europee-dei-gesuiti/.

2 Priester, Karin, Wesensmerkmale des Populismus (Aus Politik und Zeitgeschichte 62/5-6, 2012), 3-9, 4.

3 Eine übersichtliche Einführung findet sich bei Müller, Jan-Werner, Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin 2016.

4 Alle lehramtlichen Dokumente sind digital auf der Homepage des Vatikan einsehbar und werden entsprechend daraus zitiert.

5 Zum Antimodernismus des 19. Jahrhunderts sei verwiesen auf Wolf, Hubert, Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert. München 2020.

6 Müller, Jan-Werner, Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin 2016, 19.

7 Priester, Karin, Rechter und linker Populismus. Annäherungen an ein Chamäleon. Frankfurt 2012, 11.

 

David Bayer

David Bayer studiert Katholische Theologie und Latein an der Universität Freiburg. Am meisten freut er sich darüber, wenn in Theologie über Kant und die menschliche Freiheit gesprochen wird. Alternativ kann man ihn auch mit Schokolade zufriedenstellen.

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