Mein Thema und ich – Jacqueline Antoni: Kontrovers unterrichten
Welche Funktion hat der Religionsunterricht angesichts einer zunehmend pluralen Gesellschaft, die um ihre demokratischen Werte ringt? Jacqueline Antoni ist dieser Frage nachgegangen in ihrer Masterarbeit „Kontrovers unterrichten. Die Rolle des konfessionellen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg als Forum für Debatten" und gibt uns einen Einblick in ihre Ergebnisse.

- Wie hat das Thema dich gefunden?
Ausgangspunkt war die öffentliche Debatte rund um das Grundsatzprogramm des Landesschülerbeirats Baden-Württemberg 2023, in dem Schüler:innen forderten, politische Bildung stärker im Unterricht zu verankern. Diese Diskussion traf auf eine ohnehin spürbare Krise des Religionsunterrichts, dessen Relevanz in einer zunehmend pluralen Gesellschaft immer wieder hinterfragt wird. Gleichzeitig zeigen die Demonstrationen und Debatten aufgrund politischer Ereignisse wie den Krieg in der Ukraine, den Nahostkonflikt oder die Klimakrise, wie sehr junge Menschen nach Orientierung und Gesprächsräumen suchen. Mich hat die Frage beschäftigt, ob und wie der Religionsunterricht ein solcher Raum sein kann, insbesondere welchen Beitrag er zur Demokratiebildung und Demokratieerziehung leisten kann.
- Was findest du daran so faszinierend?
Mich fasziniert an diesem Thema vor allem die Spannbreite, die es eröffnet. Der Religionsunterricht bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Theologie, Pädagogik und Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftliche Debatten polariserter geführt werden, bietet der Religionsunterricht das Potenzial, junge Menschen zum Dialog zu befähigen, mit Raum für Nachdenklichkeit, Zweifel und Perspektivwechsel. Besonders spannend finde ich die Frage, wie Lehrkräfte diesen Raum konkret gestalten und welche Chancen, aber auch Grenzen dabei sichtbar werden. Dass ein Fach, das oft als überholt kritisiert wird, möglicherweise zu einem Ort werden kann, an dem demokratische Diskussionskultur eingeübt wird, hat mich nicht mehr losgelassen.
- In welchem Fach konntest du mit dem Thema andocken?
Das Thema ist interdisziplinär angelegt. Im Zentrum steht zwar die Religionspädagogik, doch die Fragestellung überschreitet bewusst die Grenzen einzelner Disziplinen. So fließen bildungswissenschaftliche Perspektiven, etwa zur Demokratiebildung, ebenso ein wie rechtliche Grundlagen, die sich aus dem Grundgesetz und dem baden-württembergischen Schulgesetz ergeben. Darüber hinaus wird auch die Religionswissenschaft mit einbezogen, um die Bedeutung des Religionsunterrichts im Kontext pluraler Gesellschaften zu reflektieren. Gerade diese Verschränkung macht das Thema so spannend. Es geht nicht nur um die Gestaltung von Unterricht, sondern auch um die Verortung des Religionsunterrichts im Bildungsauftrag des Staates und in einer pluralen Gesellschaft.
- Welche wertvollen Entdeckungen hast du beim Schreiben gemacht?
Besonders bereichernd waren die Erkenntnisse aus den Expert:inneninterviews mit Religionslehrkräften. Die Gespräche haben einen praxisnahen und zugleich sehr ehrlichen Einblick in die Realität des Unterrichts ermöglicht. Es wurde deutlich, wie engagiert viele Lehrkräfte daran arbeiten, Räume für offene Diskussionen zu schaffen, auch wenn sie dabei mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind beispielsweise die Klassenzusammensetzung, das Vorwissen oder die sehr unterschiedliche christliche Sozialisierung der Schüler:innen. Überraschend war für mich, wie kreativ Lehrkräfte mit schwierigen Themen umgehen. Diese Perspektiven haben meine theoretischen Überlegungen nicht nur ergänzt, sondern teilweise auch herausgefordert.
- Was hat Dir geholfen, durchzuhalten und mit der Arbeit fertigzuwerden?
Ganz entscheidend war für mich der Austausch. Die konstruktive Begleitung durch meine Betreuerin hat mir immer wieder geholfen, den roten Faden nicht zu verlieren. In der Schreibwerkstatt der Theologischen Fakultät war ich mit Kommiliton:innen aus dem gleichen Fach im ständigen Gespräch. Wir saßen alle an unseren Abschlussarbeiten, haben uns gegenseitig motiviert und Ideen geteilt. Auch Gespräche mit fachfremden Freund:innen, die an ihren eigenen Abschlussarbeiten saßen, waren sehr bereichernd. Ihre Fragen und Perspektiven haben mir geholfen, meine Gedanken aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
- Was wird die Leserinnen und Leser vermutlich überraschen?
Vermutlich, wie stark gesellschaftliche Krisen, insbesondere die Corona-Pandemie, noch immer im schulischen Alltag nachwirken. Die Lehrkräfte berichteten in den Interviews unter anderem davon, dass Gesprächsbereitschaft, Diskussionskultur und das Vertrauen in gemeinsame Aushandlungsprozesse bei Schüler:innen spürbar gelitten haben.
- Mit wem würdest Du Dich gerne mal über Deine Arbeit austauschen – und warum?
Ich würde mich gerne mit Lehrkräften aus dem Bereich des Religionsunterrichts für Alle (Rufa) austauschen. Besonders interessiert mich, wie sie in interkonfessionellen Gruppen mit kontroversen Themen umgehen und welche Erfahrungen sie bei der Förderung einer demokratischen Diskussionskultur machen.
- Wo könnten Deine Erkenntnisse weiterhelfen – und was würde sich damit ändern?
Die Arbeit leistet einen Beitrag zur aktuellen bildungspolitischen Diskussion über die Funktion des konfessionellen Religionsunterrichts und seine Bedeutung für die Demokratieerziehung. Sie zeigt auf, welche Möglichkeiten und Grenzen das Fach hinsichtlich der Diskussion kontroverser Themen bietet und welche Rolle es im Kontext einer sich wandelnden Gesellschaft spielen kann.
- Die Arbeit in sieben Hauptsätzen.
Meine Arbeit untersucht die Rolle des katholischen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg als Forum für Debatten und Demokratieerziehung. Dabei wird aufgezeigt, dass der RU durch die Auseinandersetzung mit kontroversen Themen einen wichtigen Beitrag zur Förderung demokratischer Kompetenzen leisten kann. Zunächst werden die theologischen, bildungspolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts beleuchtet, um die Grundlage für die Diskussion über seine Funktion als Debattenraum zu schaffen. Durch Expert:inneninterviews mit Religionslehrkräften wird deutlich, dass sie in der Praxis mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert sind, die die Umsetzung des Religionsunterrichts als Forum für demokratische Debatten zu einer komplexen Aufgabe für die Lehrkraft machen. Die Arbeit zeigt, dass der RU in einer pluralen Gesellschaft als Raum für ethische und existenzielle Fragestellungen einen einzigartigen Beitrag leisten kann. Abschließend wird die Notwendigkeit weiterer Forschung betont, um das Potenzial des Religionsunterrichts als Forum für Debatten zu erweitern und zu stärken.
Jacqueline Antoni
Jacqueline Antoni, 27, studiert katholische Theologie, Geschichte und Bildungswissenschaften im Master of Education an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
Weitere passende Beiträge
Diskutieren Sie mit uns!