„Kein Gott. Kein Staat. Kein Patriarchat!“ – Über Exklusionspotenziale feministisch-religiöser Akteur*innen und die Relevanz einer Teilhabe für Alle
Weltfrauentag? Kampftag für FLINTA*? Feministischer Kampftag? Seit 1921 demonstrieren jährlich am 08. März Menschen für Gleichberechtigung und weisen weltweit auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ungleichheiten hin. Warum es wichtig ist, den Kampftag intersektional zu denken und feministisch-religiöse Subjekte miteinzubeziehen…

„Kein Gott. Kein Staat. Kein Patriarchat!“ – mit dieser Parole im Ohr laufen heute weltweit Menschen durch die Straßen und demonstrieren. Auch ich nehme jährlich teil. Als katholische Theologin. Immer wieder treffe ich Menschen, die überrascht sind, wenn ich sage: Ich bin katholische Theologin und Queer-Feministin. „Wie geht das denn?“, „Das habe ich ja noch nie gehört!“, „Katholisch und feministisch zu gleich, das passt für mich nicht zusammen.“ sind Kommentare, die ich immer wieder zu hören bekomme. Ich denke an die Parole und frage mich: die Ablehnung patriarchaler Machstrukturen ja, aber warum eigentlich kein Gott*? Und warum nicht feministisch und religiös zugleich?
Feminismus und Religion als exklusive Kategorien
Die Parole „Kein Gott. Kein Staat. Kein Patriarchat!“ impliziert die grundlegende Ablehnung religiöser, staatlicher und patriarchaler Machtstrukturen. Ihre Wurzeln beherbergt sie u.a. in anarchistischen und feministischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich gegen patriarchale Strukturen, staatliche Autoritäten und religiöse Institutionen richteten. Als Antwort auf die historische Unterdrückung von Frauen* richtete sich die Parole auch gegen die katholische Kirche, die oft als Symbol patriarchaler Unterdrückung betrachtet wurde. Der Kampf um die Rechte von Frauen* brachte hierbei atheistische und agnostische Positionen hervor, die sich mehr und mehr als staatsbürgerlich und nicht mehr theistisch definierten. Diese „Kritik der Aufklärung an religiösen Dogmen und klerikaler Autorität“[1] wirkt bis in die Gegenwart hinein und manifestiert ein scheinbar gegensätzliches Verständnis von Feminismus und Religion. Es scheint demnach kontraintuitiv, ein feministisch-religiöses Subjekt zu sein.
Aus säkularer (nicht-religiöser) Perspektive bleibt dabei jedoch oft unbeachtet, dass religiöse Subjekte als „Andere“ problematisiert werden und Religion in Verbindung mit Kirche auf ein vormodernes Dasein reduziert wird. Außerdem verkennt sie die innerkirchlichen Aushandlungsprozesse feministisch-religiöser Subjekte. Dieser hierarchisierende Blick führt dazu, dass eine Differenzierung entlang der Kategorien säkular/religiös, modern/vormodern und feministisch/religiös die pluralen epistemischen Standorte feministischen Denkens weitestgehend ignoriert und religiöse Subjekte aus öffentlichen Debatten verdrängt.[2]
Exklusionspotenziale feministisch-religiöser Subjekte
Die unreflektierte Verwendung des Satzes „Kein Gott. Kein Staat. Kein Patriarchat“ kann zum einen dazu führen, dass feministisch-religiöse Akteur*innen aus gegenwärtigen (queer-)feministischen Debatten ausgeschlossen werden und Religion nicht als emanzipative Sinnressource wahrgenommen wird. Zusätzlich vernachlässigt eine grundlegende Ablehnung gegenüber einer göttlichen Instanz und eine undifferenzierte Auseinandersetzung die Tatsache, dass Aspekte von Religiosität im 21. Jahrhundert nicht verschwunden sind, sondern „eine enorme Verstärkung und Intensivierung erfahren“.[3] Diese Intensivierung zeigt auf, dass es religiöse Subjekte braucht, die als Gesprächsgegenüber auf Augenhöhe geltend gemacht werden.
Zum anderen besteht durch den pauschalen Verzicht auf „Gott“ der Verdacht auf eine Vereinnahmung feministischer Kämpfe durch säkulare Ideologien, die die Bedeutung und Daseinsberechtigung von religiösen Akteur*innen verkennt. Auch klammert diese Auffassung aus, dass „der Beitrag religiöser Feminismen und Frauenbewegungen zur Durchsetzung von Frauenrechten“[4] eine ebenso wichtige Relevanz beinhaltet und weitestgehend ignoriert bleibt. Daraus folgen verengte feministische Sichtweisen, die die säkularistische Konzeption eines öffentlichen Raums fortschreiben[5] und die vielfältigen Positionen innerhalb religiöser Gemeinschaften bagatellisieren.
Was es gegenwärtig braucht
Die skizzierten Aspekte zeigen, dass eine binäre Auffassung zwischen religiösen und säkularen Subjekten Exklusionspotenziale beherbergen, die einen hegemonialen Bias reproduzieren, der religiöse Subjekte als „Andere“ marginalisiert. Das gegenwärtige westlich geprägte feministische Glaubenssystem steht dabei vor der Herausforderung das Wiederaufleben religiöser Denkinhalte in (queer-)feministischen Debatten mitzudenken und die Teilhabe feministisch-religiöser Akteur*innen zuzulassen. Unter Teilhabe versteht sich hierbei die Anerkennung religiöser Vielfalt sowie gleiche Teilhabe an politischen Entscheidungs- und Selbstbestimmungsprozessen innerhalb und außerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Dafür braucht es öffentlichkeitswirksame Austauschmöglichkeiten, die den konstruktiven Beitrag religiöser und theologischer Denkinhalte sichtbar machen. Als Beispiel kann hier die anglikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde genannt werden, die sich in einer Predigt bei der Amtseinführung von Präsident Donald Trump für Migrant*innen und sexuelle Minderheiten ausgesprochen hat, indem sie auf die Liebe und Barmherzigkeit Gottes* verwies.[6]
Austauschmöglichkeiten können dann generiert werden, wenn betroffene Innenperspektiven berücksichtigt werden und ein Dialog auf Augenhöhe ermöglicht wird. Dafür braucht es ebenso die Berücksichtigung der Anliegen und Ziele religiös-feministischer Perspektiven und das stetige Mitdenken von religion als möglicher Abwertungskategorie. Gelingen kann dies, wenn säkular-grundierte Feminist*innen religiöse Vielfalt in ihrer jeweiligen Betroffenheit, aber auch in ihrer jeweiligen emanzipativen Kraft als Ressource anerkennen. Dafür braucht es ein ambiguitätstolerantes Miteinander. Und in einigen Kontexten eben auch Gott*.
[1] Braidotti, Rosi, Den Zeitläufen zum Trotz. Die postsäkulare Wende im Feminismus, in: Feministische Studien 39 (1/2021), 75-102, 77.
[2] Vgl. Winkel, Heidemarie, Feminismus in postsäkularen Zeiten, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.06.2022 (https://www.gender-blog.de/beitrag/feminismus-in-postsaekularen-zeiten, Zugriff vom 28.02.2025).
[3] Wirtz, Markus, Religionsphilosophie. Eine Einführung, Stuttgart 2022, 238.
[4] Winkel, Feminismus in postsäkularen Zeiten.
[5] Vgl. Winkel, Heidemarie/Poferl, Angelika, Einleitung: Eine Neubestimmung des Verhältnisses von Feminismus, Säkularismus und Religion, in: Feministische Studien 39 (1/2021), 3-16, 8.
[6] Siehe die ganze Predigt von Mariann Edgar Budde vom 21. Januar 2025 (https://www.youtube.com/watch?v=xwwaEuDeqM8, Zugriff vom 28.02.2025).
Lia Alessandro
Lia Alessandro hat Philosophie, Katholische Theologie und Germanistik studiert und promoviert aktuell in der Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie trägt jeden Tag bunten Eyeliner.
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