Africa in a nutshell

Seit nunmehr 9 Monaten lebe ich in Kangemi, einem Armenviertel im Westen Nairobis. Gekommen bin ich, um mein Theologiestudium am Hekima College fortzuführen. Daneben habe ich in der Jugendpastoral der hiesigen Pfarrei mitgearbeitet. So hat mir die Kirche in Kenia, die einen Teil der Kirche in Afrika bildet, in Wissenschaft und Praxis einen tiefen Einblick gewährt, über den ich im Folgenden im Interviewformat berichten möchte.

Was war deine Motivation die Externitas in Kenia zu verbringen?

Bevor ich die Priesterausbildung in der Erzdiözese begonnen habe, war ich als Freiwilliger von Jesuit Volunteers, der Freiwilligenorganisation von Jesuitenweltweit acht Monate in Nordostindien. Diese Erfahrung hat mir den globalen Süden geöffnet, den Reiz für neue Kulturen geweckt und auch die Furcht vor Erfahrungen wie Armut, Unterentwicklung und Ungerechtigkeit genommen. Der Freiwilligendienst hat mich durch das Zusammenleben mit Menschen am Rand und die Begegnung auf Augenhöhe viel mehr für all diese Problematiken sensibilisiert. Niemand rettet die Welt selbst, jedoch glaube ich, dass es eine angemessene Antwort ist, sich immer wieder diesen Kontexten auszusetzen und sich auf die Menschen mit ihren Freuden, Hoffnungen und Ängsten[1] einzulassen, um dadurch immer mehr zu versuchen die geschenkten Privilegien in den Dienst einer gelebten Solidarität zu stellen. So war meine Motivation für dieses Jahr nochmal eine neue Kultur kennenzulernen und ein Jahr mit und für die Menschen hier zu verbringen, sodass die Welt ein kleines bisschen besser wird. Bei dieser Motivation war mir gleichermaßen bewusst, dass mein Einfluss gering sein wird und jetzt fast am Ende angekommen, dass ich viel reicher beschenkt wieder nach Hause zurückkehre, als ich aufgebrochen bin. Darüber hinaus wurden wir im Freiwilligendienst immer wieder dazu motiviert „Brückenmenschen“ zu werden. Menschen, die in unterschiedlichen Kulturen beheimatet sind, die Kulturen zueinander führen und so auch anderen Menschen bei diesem teils schwierigen Unterfangen zu unterstützen. Beides sehe ich tief im Glauben verwurzelt, besonders wenn man die Worte des Konzils bedenkt, dass die Kirche selbst „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist.[2] Ein Zeichen für die Einheit der Menschen ist sie bereits aufgrund ihrer Verfasstheit. Werkzeug wird sie durch das Werk vieler Christen, die sich eben in diesen Dienst der Einheit stellen.

Dein Lieblingsprojekt in drei Sätzen.

Mir macht die Jugendarbeit unglaublich viel Freude und nicht nur weil mir diese Aufgabe in der Pfarrei übertragen wurde. Sie macht mir Freude, weil ich darin mit einem Team von engagierten Leitern zusammenarbeiten darf, in der wir kreativ nach Wegen suchen, wie wir den jungen Menschen von Kangemi einen Raum öffnen können sich zu entwickeln. Ich schätze darüber hinaus sehr, dass mir die Gruppe einen tiefen Einblick in das Leben vieler Kenianer und besonders auch von Menschen, die unter vielfacher Benachteiligung leiden müssen, gewährt hat.

Bildrechte: Simon Jäger

Was ist der größte Unterschied in der Theologie zwischen Hekima und Freiburg?

Der Unterschied liegt besonders im Ansatz begründet. Theologie in Afrika ist sehr stark durch einen kontextuellen Ansatz geprägt, welchem sich die afrikanisch-christliche Theologie verpflichtet sieht. Herbert Vorgrimmler definiert kontextuelle Theologie als einen „Sammelbegriff [in welchem] die unterschiedlichsten theologischen Interessen und Methoden darin übereinkommen, dass die theologische Reflexion […] von einem jeweils genau zu bestimmenden sozio-kulturellen Umfeld ausgehen [muss] und in ihm ihren Lebensraum [hat].“[3] Vorgrimmler liegt auch besonders mit der Größe des Spektrums von kontextueller Theologie sehr richtig, was vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Schlagrichtungen, sowie Fragestellungen und Themengebiete der afrikanisch-christlichen Theologie offensichtlich wird. So widmeten sich beispielsweise renommierte Theologen wie John Mbiti oder Laurenti Magesa dem Anliegen den christlichen Glauben für Menschen in Afrika verständlich zu machen und nutzten hierfür den religionssoziologischen wie -historischen Kontext Afrikas. Die Befreiungstheologien in Afrika gehen klar vom sozio-ökonomischen Kontext der Unterdrückten Afrikas aus. In dieser Vielfalt unterschiedlicher Stilrichtungen sehen sich viele Dozenten am Hekima College beheimatet und versuchen so den christlichen Glauben für Menschen in Afrika in ihren konkreten Kontexten verständlich zu machen. Zu betonen ist jedoch, dass Professor Laurenti Magesa, der selbst viele Jahre am Hekima College gelehrt hat, in einem seiner letzten Interviews kritisierte, dass die in Afrika betriebene Theologie immer noch nicht kontextuell genug sei.

Besonders werde ich die Leichtigkeit vermissen mit der Sachen zu Stande kommen sowohl im kirchlichen wie auch im normal gelebten Leben.

Was zeichnet Pastoral in Kenia aus?

Die Pastoral ist wesentlich durch Masse geprägt. Kenia verfügt ganz im Gegensatz zu Deutschland über eine durchweg religiöse Gesellschaft. Durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch ist der Glaube in seiner institutionell gelebten Form verwurzelt, was auch gerade durch die Vielzahl an Kirchen deutlich wird. So ist die Mitgliedschaft in einer Kirche, in der überwiegend christlichen Gesellschaft Kenias gesetzt und ebenso das Aktivsein innerhalb vielfältiger kirchlicher Gruppierungen. Nichtsdestotrotz mache ich auch hier immer wieder die Erfahrung, dass trotz großer Mitgliedszahlen und hoher Zahlen an Gottesdienstbesuchern, Verantwortung und Engagement auf wenigen Schultern gelagert ist.

Darüber hinaus mache ich besonders in Kangemi als einer armen Nachbarschaft die Erfahrung, dass das Lebensumfeld der Menschen vor Ort einen erheblichen Einfluss auf das kirchliche Leben hat. Der Umgang auf den Straßen von Kangemi ist rau, und muss es vielleicht auch sein, um das harte Leben zu bewältigen. In gleichem Maße geht es auch in der Pastoral teilweise sehr hart zu und immer wieder begegne ich übler Nachrede, zwanghaftem Festhalten an bestehenden Formen im Angebot, und fehlendem Einfühlungsvermögen. Natürlich kommen solche Verhaltensweisen und Dynamiken auch in der Pastoral in Deutschland vor, jedoch häufig in geringerem Maße aufgrund der Milieuverengung, welche die Kirche in Deutschland erlebt. Die fehlende Milieuverengung der Kirche in Kenia bietet ihr jedoch die Möglichkeit, ganzheitlich Werkzeug für den gesellschaftlichen Wandel zu sein, da sie so weite Teile der Gesellschaft erreicht.

Was wirst du besonders vermissen?

Besonders werde ich die Leichtigkeit vermissen mit der Sachen zu Stande kommen sowohl im kirchlichen wie auch im normal gelebten Leben. Pastorale Angebote sind häufig schnurstracks geplant. Jeder versucht sich mit seinen Ideen und Möglichkeiten einzubringen und gibt so ein greifbares Zeugnis des Glaubens ab. Genauso ist es mit privaten Verabredungen, wo es häufig genügt freundlich „Hodi?“, „darf ich reinkommen?“ an der Tür zu rufen, um herzlich empfangen zu werden.

[1] Vgl. Pastoralkonstitution: Gaudium et Spes: Über die Kirche in der Welt von Heute 1.

[2] Dogmatische Konstitution: Lumen Gentium: Über die Kirche 1.

[3] Vorgrimmler, Herbert: Neues Theologisches Wörterbuch, Neuausgabe 2008 (6. Aufl. des Gesamtwerkes), Verlag Herder, Freiburg.

Simon Jäger

Simon Jäger studiert Theologie an der Universität Freiburg sowie derzeit am Hekima University College in Nairobi, Kenia. Als Freiwilliger der Organisation Jesuit Volunteers lebte und arbeitete er nach dem Abitur an einer Jesuiten-schule in Nordostindien. Während der großen Externitas lebt und arbeitet er als Jugendseelsorger (Youth Minister) in einer Pfarrei in Kangemi, einem Armenviertel Nairobis. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Dialog auf Au-genhöhe zwischen Kulturen liegt ihm am Herzen.

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