Seht Gottes Zirkuszelt auf Erden. Was Seelsorgerinnen und Seelsorger von Schlangenmenschen und Schwertschluckerinnen lernen können

Gotteszelt als Zirkuszelt und seelsorgende Clowns? Bernhard Spielberg greift für uns seinen Kabarettbeitrag zu der dennoch-Konferenz für Kirchenentwicklung nochmal auf und zeigt uns, was Seelsorgende von Zirkusartist*innen lernen können.

Auf dem Bild ist ein Clown mit verschränkten Armen und lässiger Haltung zu sehen, der die Augen geschlossen hat und eine bunte Perücke trägt.

Fremdlernen liegt im Trend. Vor allem bei Pastoralplanern und Kirchenentwicklerinnen. Die Methode ist einfach: Mal einen Tag oder zwei Wochen rausgehen aus dem eigenen Betrieb, in der Kaffeebar oder im Sozialunternehmen anderen Profis über die Schulter schauen und im besten Fall stylishe Kulis und frische Ideen mitnehmen, die man am eigenen Arbeitsplatz gebrauchen kann.

Beim Fremdlernen kann eigentlich gar nichts schiefgehen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass man nichts lernt. Und selbst dann ist es für manche schon ein Gewinn, mal einen Tag nicht in die gleichen müden Gesichter blicken zu müssen, die man sonst immer sieht. Für andere ist immerhin jene Erkenntnis drin, die eine grundsolide Ruhrpottphilosophie in die weise Formulierung gekleidet hat: Woanders ist auch Scheiße. Wenn der Ort dann auch noch cool ist, dann kann man am Ende des Tages wenigstens die eine oder andere kalenderblatttaugliche Lebensweisheit posten.

Fürs Fremdlernen fast völlig unerschlossen ist allerdings noch ein Ort, an dem man als kirchlicher Mitarbeiter handfeste und sehr brauchbare Skills erwerben könnte: der Zirkus. Obwohl man nicht mal allzu weit ausholen müsste, um ein paar großspurige Begründungen zu finden: Auch der Heilige Apostel Paulus und seine korinthischen Kollegen Priszilla und Aquila waren von Beruf schließlich…? Genau: Zeltmacher (Apg 18,3). Und das erste bedeutsame Heiligtum des Volkes Israel ist das Offenbarungszelt, in dem die Bundeslade (Ex 25-31) steht. Könnte also nicht auch„Gottes Zelt auf Erden“ (Gotteslob 639, 4. Str.) ein Zirkuszelt sein? Beim Fremdlernen im Zirkus ließen sich nämlich allerlei Dinge trainieren, die man im pastoralen Dienst heute wirklich brauchen kann. Und das noch auf unterschiedlichen Niveaus.

Die erste Stufe wäre die einfachste: Lernen durch Imitation. Das ist zwar nicht so richtig tiefgehend, aber in vielen Branchen nach wie vor die führende Methode: Man schaut einfach zu wie es diejenigen machen, die am Ruder sind – und macht es nach. Bis hinein in die Körperhaltung und die Wortwahl. Wer schon mal 25-jährige Prediger erlebt hat, die sich gebärden wie 65-jährige, der weiß, wie effektiv das ist. Wer auf dieser Stufe im Zirkus lernen will, der absolviert einfach einen Tag beim Sprechstallmeister (dieses Fachwort habe ich auch eben erst gelernt), also dem Zeremonienmeister. Bei dem kann man abgucken, wie man in lustig bunten Gewändern stilvoll durch die Manege schreitet und das Publikum von einer Sensation zur nächsten führt. Und wie man klug dafür sorgt, dass die Löwen- und die Zebranummer in stabilem Abstand zueinander bleiben. Der Einsatz lässt sich mit ein wenig Geschick später sogar als Fortbildung zu liturgischer Präsenz oder Gemeindeentwicklung in der Personalakte verbuchen.

Auf der zweiten Lernstufe müsste man schon richtig Hand anlegen und ein paar Kunstgriffe einüben. Die sind aber auch wirklich nützlich. Man könnte zum Beispiel Jonglieren lernen. Wer die Aufgabenfülle und den Termindruck des pastoralen Personals kennt, weiß, wie praktisch diese Kunst ist: die Bälle in der Luft halten und dabei noch besonders munter dreinschauen. Der Zirkus bietet dafür weit mehr als die Standardvariante mit drei Bällen. Sobald man meint, dass man mit denen Jonglieren kann, kommt dort – wie im echten Leben – noch ein Ball dazu. Und dann noch einer. Und wenn man mit denen jonglieren kann, werden die Bälle ersetzt. Erst durch Messer, dann durch brennende Fackeln. Wo ließen sich Top-Skills kirchlicher Führungskräfte besser trainieren als bei so einer Jonglage?

Man könnte auch an der eigenen Elastizität arbeiten. Mit Schlangenmenschen was fürs Rückgrat tun. Von den so genannten Kontorsionisten kann man lernen, sich richtig gut zu verbiegen. Für das eine oder andere kirchliche Amt kann man diese Fähigkeit gut gebrauchen. Das wissen spätestens diejenigen, die in der Mitte des Berufslebens einen Blick zurück auf jene hehren Ideale und theologischen Überzeugungen werfen, mit denen sie einst am Startblock des Berufslebens standen – und zu denen zurückzufinden einiges an Biegsamkeit verlangt. Unter den Verbiege-Profis gibt übrigens zwei Gruppen: Backbender und Frontbender, also diejenigen, die sich vor allem nach vorne oder vor allem nach hinten verbiegen können. Wofür man dieses Wissen braucht? Keine Ahnung. Aber es klingt ziemlich schlau, wenn man’s weiß.

Schließlich ließe sich noch bei einer dritten Artistengruppe wertvolles Knowhow erwerben: Bei Schwertschluckern. Was die können, ist nicht nur eindrucksvoll, sondern auch richtig gefährlich. Denn auch, wenn man es vielleicht vermutet, tricksen Schwertschlucker nicht. Die machen das echt. Sie nehmen ein scharfes Schwert in den Mund, überstrecken den Rachen, lassen das Teil die Speiseröhre hinuntergleiten und hören erst auf, wenn es am unteren Ende des Magens anstößt. Die spektakulären berufsspezifischen Verletzungen, die Wikipedia aufführt, sprechen für sich. Was man da lernen kann? Da braucht man nicht lange überlegen: Wer heute im pastoralen Dienst arbeitet, muss auch einiges schlucken können. Eine Depesche der Landeskirche, ein Sendschreiben aus Rom, eine Personalmitteilung aus dem Ordinariat oder ein Brief besorgter Bibelkreismitglieder – die Liste an möglichen Überraschungen ist lang. Da hilft ein Kniff der Schwertschluckerzunft. Genaugenommen schlucken sie nämlich die Schwerter gar nicht. Sie sind einfach extrem gut darin, den Brechreiz zu unterdrücken.

Es gäbe sogar noch eine dritte Stufe, auf der man im Zirkus fremdlernen kann. Und die ist – anders als die vorgenannten – sogar ernst gemeint. Die Idee stammt auch gar nicht von mir. Sie ist aber so gut, dass ich sie gerne weitersage. Neben anderen hat zum Beispiel die evangelische Theologin Gisela Matthiae viele schöne Dinge dazu gemacht. Und schon vor vierzig Jahren hat der US-amerikanische Theologe und Pastoralpsychologe Richard Dayringer in einem Buch zur Seelsorge mit Kranken und Sterbenden noch eine Artistengruppe benannt [i], von der man am als Seelsorgerin und Seelsorger am meisten lernen kann: die Clowns: „Clowns sind nicht die Hauptattraktion im Zirkus. Sie erscheinen zwischen den großen Programmpunkten und lassen uns lächeln. Sie erscheinen ungeschickt und erfolglos in ihren Bemühungen. Sie scheinen uns zu mögen – und zu sein wie wir. Mit einer Träne und einem Lächeln erinnern sie uns daran, dass wir die gleichen menschlichen Schwächen teilen. Der Clown muss für seine Aufgabe ausgebildet sein – und gleichzeitig originell und kreativ. Er ‚erreicht‘ die Leute nicht so sehr wegen seiner Fachkompetenz oder seiner Gewandtheit, sondern wegen seiner Menschlichkeit.“

In dem ganzen Zirkus menschlich bleiben. Ich will nicht aufhören, diese Kunst zu lernen. Egal wo.

 

[i] Richard Dayringer, in: Brian O‘Connor e.a. (Eds.), The Pastoral Role in Caring for the Dying and Bereaved, Praeger 1986.

Auf dem Bild ist Bernhard Spielberg zu sehen, Professor für Pastoraltheologie an der Uni Freiburg.

Bernhard Spielberg

Bernhard Spielberg ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Freiburg. Er hält viele Vorträge zum Thema Kirche & Gegenwartskulturen – und Humor für eine unterschätze Ressource. Deshalb hat er im Rahmen der „dennoch-Konferenz“ für Kirchenentwicklung (https://www.dennoch-weiter.de/) im November einen Stand-up-Auftritt absolviert, den er für zwoelf57 in eine Textfassung gebracht hat.

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