Schuldig oder nicht schuldig? – ein neues Buch über Erzbischof Conrad Gröber

Der heutige Tag kann auch für die Erinnerung an das vielleicht dunkelste Kapitel der Kirchengeschichte stehen. Sicherlich geht es um die Erinnerung an standhaft gebliebene Christinnen und Christen, aber das Ende des nationalsozialistischen Terrors ist auch das Ende einer verhängnisvollen Verstrickung der Kirche in die Diktatur.

Auf dem Bild sieht man ein Straßenschild mit der Aufschrift Conrad-Gröber-Straße

Der 27. Januar jeden Jahres ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. An diesem Tag wird der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 gedacht. In diesem Zusammenhang möchte ich ein Buch empfehlen: „Erzbischof Conrad Gröber reloaded – warum es sich lohnt, genauer hinzuschauen“.

Der Band entstand in Folge einer Tagung der Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur sowie der Diözesangeschichtsvereine Freiburg und Rottenburg-Stuttgart im November 2018. In diesem Band werden die überarbeiteten Vorträge des Politikwissenschaftlers Hans-Otto Mühleisen und des Kirchengeschichtlers Dominik Burkard publiziert.

Die beiden Autoren regen dazu an, „in einer politisch motivierten Debatte um die Würde Conrad Gröbers das historische Argument als Chance zu nehmen, noch einmal genauer hinzuschauen“, denn an den Orten des Wirkens Conrad Gröbers ist in letzter Zeit eine Kontroverse um seine politische Einstellung zum NS-Staat und die Bewertung historischer Quellen entstanden. Insbesondere geht es hierbei um die Diskussion um den Entzug der Ehrenbürgerwürde und die Umbenennung der Conrad- Gröber-Straße in Konstanz.

Der erste Aufsatz von Hans-Otto Mühleisen trägt den Titel „Conrad Gröber – Nationalsozialist oder Gegner von Partei und NS-Staat? Die schwierige Kunst des Differenzierens“. Hieran schließt sich der Aufsatz von Dominik Burkard an, mit dem Titel „Das ,Dossier Gröber’ in den Archives de l’occupation. Zu Wert und Wahrheitsgehalt eines problematischen Quellenbestands“.

Burkard kommt allerdings zu dem Schluss, dass der Vorwurf „brauner Bischof“ paradoxerweise gerade von seinen ehemaligen innerkirchlichen und nazitreuen Gegnern kommt, und nicht – wie man meinen könnte – von Gegnern des Naziregimes. Trotzdem macht dies Conrad Gröber nicht zu einem Widerstandskämpfer.

Conrad Gröber wird eine Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut vorgeworfen, er soll bereits zu Lebzeiten als „brauner Bischof“ gegolten haben. Dies nimmt insbesondere der Aufsatz von Burkard näher in den Blick, in dem er ein Dossier französischer Provenienz genauer untersucht, das diesen Vorwurf erhebt. Dieses Dossier ist nach dem Krieg den französischen Behörden vorgelegt worden, möglicherweise um Gröber vor Gericht zu bringen, denn er wird hierin schwer belastet. Burkard kommt allerdings zu dem Schluss, dass der Vorwurf „brauner Bischof“ paradoxerweise gerade von seinen ehemaligen innerkirchlichen und nazitreuen Gegnern kommt, und nicht – wie man meinen könnte – von Gegnern des Naziregimes.

Trotzdem macht dies Conrad Gröber nicht zu einem Widerstandskämpfer. Er verfolgte das klare Interesse, die katholische Kirche und deren Organisationen vor dem Zugriff der Nazis zu schützen, und zu diesem Zweck nutzte er alle Möglichkeiten, die ihm seine Position bot, und versuchte zugleich, dem NS-Staat keine Angriffsfläche zu bieten.

In diesem Sinne ist auch zu erklären, dass er 1934 förderndes Mitglied der SS wurde und sich sogar weigerte, aus der SS auszutreten, selbst als er von Seiten der NS-Funktionäre dazu gedrängt wurde. Insbesondere dies wird ihm rückblickend zu Vorwurf gemacht und als Beleg seiner Treue zum NS-Staat ausgelegt.

Das ist ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich historische Fakten bewertet werden können: Es ist Fakt, dass Gröber seine Mitgliedschaft nicht aufgab, obwohl er dazu gedrängt wurde, und schließlich strich ihn Heinrich Himmler persönlich aus der Mitgliederliste. Allerdings war der Grund hierfür, dass Gröber eine zunehmend kritischere Haltung gegenüber dem NS-Regime einnahm und auch öffentlich vertrat, so dass beispielsweise 1937 der Reichsstatthalter von Baden Robert Wagner an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß schrieb, dass „dieser Schädling Dr. Gröber […] beseitigt“ werden müsse. Somit verstand Gröber seine Weigerung gerade als eine Art von Protest oder sogar als widerständiges Verhalten gegen das NS-Regime.

Conrad Gröber kann zugute gehalten werden, dass er die Caritas-Aktivistin Gertrud Luckner mit einem Schutzbrief ausstattete, in dem es hieß, sie sei „mit der Durchführung notwendiger Aufgaben der außerordentlichen Seelsorge“ beauftragt. Gertrud Luckner erkannte bereits sehr früh die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging. Sie hielt Kontakt zur jüdischen Bevölkerung und leistete Fluchthilfe. Dennoch schützte sie der Schutzbrief Gröbers nicht, sie wurde von ihren eigenen Leuten im Caritasverband denunziert und kam in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, das sie glücklicherweise überlebte.

Wolfgang Proske, der Herausgeber der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“, relativiert in seinem insgesamt kritischen Aufsatz über Conrad Gröber die Hilfen, die Gertrud Luckner durch den erzbischöflichen Segen habe leisten können und führt Belege dafür an, dass diese Hilfe nur wenigen Juden und hierbei vor allem „Judenchristen“1 gegolten hätten. Dies zeige, dass Gröber kein Interesse an der Rettung von Juden gehabt habe, und dies aufgrund seiner zutiefst antisemitischen Haltung.

Aus einem relativ unbekannten Interview, das 1988 mit Gertrud Luckner geführt wurde, geht allerdings hervor, sie habe sich mehrfach mit Leo Baeck, dem Vorsitzenden der Reichsvertretung der Deutschen Juden getroffen, der sie an jüdische Gemeinden vermittelt hat; es ging Gertrud Luckner bei weitem nicht nur um konvertierte Juden. Für ihren herausragenden Mut wurde sie vom Staat Israel 1966 als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

Zum Holocaust-Gedenktag 2021 fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese eindringlichen Worte: „Die größte Gefahr für uns alle geht vom Vergessen aus. Davon, dass wir uns nicht mehr daran erinnern, was wir einander antun, wenn wir Antisemitismus und Rassismus in unserer Mitte dulden. Wir müssen unsere Sinne wachhalten, Vorurteile und Verschwörungstheorien erkennen und ihnen mit Vernunft, Leidenschaft und Entschiedenheit entgegentreten.“


1 Proske, Wolfgang, Täter Helfer Trittbrettfahrer (Bd 6), Gerstetten 2017, 130.

Beitragsbild: Erika Korn, Konstanz


 

Burkhard Korn

Burkhard Korn ist Fachkrankenpfleger Psychatrie. Nach dem Studium der Musikwissenschaft und Sozialen Arbeit studiert er aktuell im Studiengang Caritaswissenschaft.

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