Wenn Kirche keine Kirche hat. Exkursion ins Freiburger Vauban
In Freiburgs grünstem Stadtteil wohnen 5000 Leute anders als in anderen Stadtteilen. Es gibt dort nicht nur wenig Platz für Autos, sondern auch kein Kirchengebäude. Kirchliche Präsenz muss dort also anders stattfinden. Wie? Das haben das zap Bochum und das zap Freiburg im letzten Oktober näher erkundet.
Zu Beginn des Semesters besuchte das Team des Zentrums für angewandte Pastoralforschung (zap) in Bochum das zap in Freiburg, das an den Lehrstuhl der Pastoraltheologie angedockt ist. Zwei halbe Tage haben wir miteinander verbracht, Kontakte geknüpft und wieder aufgefrischt, uns gegenseitig von unseren Projekten erzählt und die Stadt erkundet. Ein Highlight war die Führung durchs Vauban mit Pastoralreferent Michael Hartmann, bei der wir der Frage nachgingen: Wie geht Kirchesein, wo es keine Kirche gibt?
Ein besonderer Stadtteil
Nicht nur ist das Vauban ein sehenswerter typischer Freiburger Stadtteil, auch für die Weiterentwicklung von Kirche lässt sich dort einiges lernen. Bei der Planung neuer Stadtteile stellt sich in vielen deutschen Großstädten von Mannheim bis München die Frage, wo und wie Kirche Platz darin hat. Wie kann sie auftreten, wo kann es sie geben und in welcher Art und Weise? Oder anders: Was macht Kirche dort, wo es keine Kirche gibt? Das Vauban stand bei seiner Entstehung damals vor derselben Frage. Was haben wir durch die Führung also mitgenommen?
Räume teilen
Zunächst, dass die Verfügbarkeit eigener Räume relevant ist, in denen man Angebote durchführen kann. Im Vauban verfügt die Kirche nicht – wie andernorts noch häufig üblich – über große eigene Gebäudekomplexe und Kirchenräume. Es gibt einen multifunktionalen Kirchenraum, der Platz hat für 35 Personen, daneben noch zwei kleinere Räume im Stadtteilzentrum. Im Vauban sind diese Räume – so betonte Michael Hartmann explizit – offen für weitere Nutzer*innen und leben davon, dass Menschen sich einbringen, mit ihren Ideen und in Gemeinschaft. Das Teilen von Räumen macht Kirche in nicht-religiösen Kontexten nicht nur relevant, sondern verhilft Hartmann zufolge auch Kontakte zu den Bewohner*innen des Stadtteils zu knüpfen.
Sich outen
Weiterhin bedeutet Kirche im säkularen Raum auch Outing. Oftmals ist Religion im öffentlichen Raum nicht mehr bedeutend, wir bewegen uns in multireligiösen und pluralen Kontexten. Wer also an Ostern am Marktplatz ums Osterfeuer steht und „Jésus le Christ“ singt, während nebenan die Leute (vegane) Schnitzel essen, wird wahrgenommen. Die Entscheidung, bei den Angeboten mitzumachen, wird zu einer sehr bewussten.
Gerade in solch säkularen Umfeldern, meint Michael Hartmann, sei es wichtig, Kirche als Vertreterin für große Fragen des Individuums im öffentlichen Raum zu verstehen. Es brauche Orte, die sich öffentlich dieser Themen annehmen und an denen Leute ins Gespräch kommen. Fragen darüber offenzuhalten, wie der Umgang mit etwa Tod, Sterben und Abschiednehmen aussehen könne, kann Aufgabe der Kirche sein. Genauso kann sie auch die Moderationsrolle in Interessenskonflikten übernehmen, denn den pastoralen Mitarbeiter*innen – zumindest bei Michael Hartmann war das der Fall – wird eine gewaltfreie und neutrale Position zugetraut. Kirche wirkt als eine sich vernetzende und Netzwerk stiftende Playerin.
Sich beweisen
Allerdings bedeutet das nicht, dass man als Vertreter*in der Kirche automatisch auch als qualifizierteste*r Seelsorger*in angesehen wird, es herrscht ein ganz anderes Konkurrenzverhältnis an den Orten, an denen die christliche Tradition nicht klassisch vorherrschend ist. Wer wird angefragt wenn es beispielsweise um eine Trauerrede geht? Die Frage entscheidet sich dann hauptsächlich über die amtlich tätige Person, ihr Charisma und ihre Schwerpunkte. Denn klar ist: Im Vauban ist Kirche ein sozialer Player von vielen.
Sich hineingeben
Zusätzlich ist von ihr viel Flexibilität gefordert. Seelsorge findet meistens im Gehen statt. Wenn Kirche relevant sein will, dann muss sie sich mitten in die Viertel hineinbegeben und verstehen, was die Leute umtreibt, welche Menschen dort leben, welche Ansichten sie vertreten und was ihre Fragen sind. In die Welt hineinzugehen, öffentlich für die Belange der Menschen einzutreten und für sie da zu sein, gleichzeitig Räume zur Verfügung zu haben, in denen Leute ihre Fragen vorbringen, aber auch Gemeinschaft leben und feiern können, ist das Bild der Kirche, das sich uns durch die Vauban-Führung aufgetan hat und woran sich anknüpfen lässt.
Dorothée Kissel
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